2019 feiert das Großprojekt bauhaus100 mit einem von elf Bundesländern unterzeichneten Staatsvertrag das Bauhaus als das sowohl deutsche als auch europäische Exportprodukt schlechthin.[1] Noch heute stehen die Bildungsidee und das Schulkonzept des Bauhaus für Innovation und Aktualität. Nordrhein-Westfalen, Mitunterzeichner des Staatsvertrags zum Bauhaus-Jubiläum, legt den inhaltlichen Schwerpunkt auf das Zusammenspiel von „Gestaltung und Demokratie“ sowie auf die Lesarten von „Neubeginn“ und „Weichenstellung“ nach dem Krieg.
Hier knüpfen wir mit unserem Projekt an und befragen lehrend, lernend und forschend die Möglichkeiten, die in der Begegnung des Bildungsbegriffs der Avantgarde 1919 und heute, hundert Jahre später, liegen. Das Bauhaus fungiert hierbei als Referenzebene, die bei der Auseinandersetzung mit parallelen Ereignissen 1919 im Rheinland und in Westfalen nach Vergleichbarkeiten, aber auch nach Unterschieden befragt werden kann und so die Spezifika einer Region in Bezug auf die Moderne verdeutlicht.
Ein Schlüsselgedanke der Begegnung 1919/2019 ist es, das politische Erbe der Avantgarde sowohl in Erinnerung zu rufen als auch als Anregung zu verstehen, unsere durch Neoliberalismus und zunehmenden Populismus geprägte Gesellschaft kritisch zu hinterfragen, auch hinsichtlich unseres gegenwärtigen Demokratieverständnisses. So setzten die Propheten der Lebensreform auf die Kraft evolutionärer Veränderung. Die Ästhetisierung der Alltagswelt sollte primär auch zur Verbesserung der herrschenden Verhältnisse beitragen. Gropius formuliert im Gründungsmanifest des Bauhaus zugleich die Idee des Gesamtkunstwerks sowie die Idee des kollektiven Handelns für eine ‚neue Gesellschaft‘. An diese Idee knüpfen wir mit einem vom Bildungsbegriff ausgehenden Projekt mit einer Vielzahl an institutionellen und individuellen Partner*innen an mit dem Ziel, sowohl interdizisplinär als auch transdisziplinär gestalterische Prozesse und Proberäume im Bauhausjahr bereitzustellen und zu öffnen.
Die für die Avantgarden so zentrale Vorstellung, dass die Künste die Kraft und den Auftrag zu gesellschaftlicher Veränderung haben, wollen wir auf ihre mögliche Gegenwartstauglichkeit befragen. Die an eben dieses Erbe der Moderne anknüpfende Vorstellung des französischen Philosophen Jacques Rancière, dass die Kunst eine Praxis und Metapolitik darstellt, die in der Lage ist, gesellschaftliche Veränderungen nicht nur zu formalisieren, wie es in Politik und Rechtsprechung geschieht, sondern diese auch zu realisieren und zu aktualisieren, bildet dabei einen Leitgedanken des gesamten Projekts. Die Begegnung mit den Bewegungen um 1919 und unserer Gegenwart mündet unweigerlich in die interessante Frage „Woraus wird Morgen gemacht sein?“[2] (Victor Hugo: „De quoi demain sera-t-il-fait?“). Dabei verweist das Titelzitat von Victor Hugo auf die ‚Machbarkeit‘ von Zukunft: Das Morgen hat eine Textur, die es zu gestalten gilt! Vor diesem Hintergrund wollen wir die damals wie heute zukunftskritische Frage nach Bildung in ergebnisoffenen und prozesshaft operierenden Formaten diskutieren. Am Ausgangspunkt dieser Diskussion steht die durch die Beschäftigung mit der Moderne geprägte Einsicht, dass Bildung kein statisch und fest umrissener Bereich ist, sondern aus Prozessen des Bildens und (Mit-)Gestaltens überhaupt erst hervorgeht. Dass an der Schnittstelle von Wissenschaft, Kunst, Alltag und Öffentlichkeit angesiedelte Projektvorhaben setzt hier zudem auf den produktiven Transfer von Theorie und Praxis. Rancières Auffassung, dass das Denken von Anfang an ästhetische Umgestaltung von Erfahrung, und Theorie und Praxis sich also unmittelbar bedingen, ist hier leitend.
Die Fragestellung verstehen wir dabei als ein Thema mit gesamtgesellschaftlicher Relevanz und schlagen in unserem NRW-weiten Modellprojekt einen transdisziplinären Transfer von Themen und Fragen zwischen Lehrenden, Lernenden und der Öffentlichkeit vor.
Das vorliegende Projekt ist in die Gesamtstruktur des übergreifenden Projektes „bauhaus100“ sowie in die Struktur des Projektteiles aus NRW eingebunden und wird z.B. auf dem Eröffnungskongress im September 2018 präsentiert, als (bisher einziger) Beitrag aus der universitären Lehre sind wir ebenfalls Teil des Bildungskonvents Ende 2019.
[1] https://www.bauhaus100.de/de/index.html
[2] Das Zitat ist Victor Hugos Gedicht „Napoleon II“ entnommen: „De quoi demain sera-t-il-fait?“. Auch Jacques Derrida und Elisabeth Roudinesco verweisen auf dieses Zitat in ihrem 2001 publizierten „Dialog: De quoi demain sera-t-il-fait?“.
Die 1919 breit angelegte aktive und kreative Gestaltung der Umwelt möchten wir zum Anlass nehmen, um unsere eigene Gegenwart aus dieser Perspektive heraus kritisch zu betrachten. Ausgehend von der damals wie heute hochaktuellen Debatte um zeitgemäße Konzepte von Lernprozessen legen wir einen besonderen Fokus auf das Thema Bildung.
Wir betrachten Bildung als eines der Schlüsselthemen unserer Zeit: Wie können, wie wollen wir künftig miteinander lernen? Wo ist drängender Handlungsbedarf? An der Frage, wie es gelingen wird, Bildung für alle attraktiv zu gestalten und zugänglich zu machen, entscheidet sich die Zukunft unserer Gesellschaft. Wir meinen, dass der Universität als Stätte des Wissens und des Lernens in diesem Punkt eine besondere Verantwortung zukommt, dass die Antwort aber nicht in einer institutionellen Vereinzelung zu finden ist, sondern in der Intensivierung des Austauschs zwischen den Lehrenden und Lernenden. Mit der Digitalisierung, die uns als Netzwerk und parallele virtuelle Welt mit einer veränderten Gegenwart konfrontiert, sind wir als BürgerInnen in der Demokratie aufgefordert, den bereits 1919 erfolgten Aufruf zu einer Kooperation der Fächer und Institutionen sowohl im Lehren als auch im Lernen erneut aufzugreifen und auf seine gegenwärtigen Möglichkeiten hin zu überprüfen.
Besonderes Interesse gilt dem in der Etymologie bereits angelegten performativen Moment von Bildung: dem Bilden und Gestalten als Anschluss an reformpädagogische Konzepte. Seit jeher eignet dem überaus dehnbaren Begriff von Bildung eine Dialektik von Formen und Geformtwerden an.
Als Namensgeber fungiert die Bauhütte für das Bauhaus und legt fest, dass es in dem Projekt um eine fächerübergreifende Kooperation hin zum gemeinsamen Produkt geht. Die Kooperation der Disziplinen stellt dementsprechend die Grundlage für unser Projekt dar. Dabei wird als interdisziplinär nicht nur eine operative Herangehensweise aus verschiedenen Fachperspektiven verstanden, sondern vielmehr ein Kulturbegriff, der in sich grundlegend auf die Befragung der vielfältigen Wechselwirkungen angelegt ist. Hierbei geht es nicht um perspektivische Offenheit auf Kosten begrifflicher Schärfe, sondern um die Auseinandersetzung mit einem hundert Jahre umfassenden Zeitraum, der sich durch seine nach wie vor zunehmende Komplexität auszeichnet und in dem der Impuls, über Spezialisierung in Einzelperspektiven einen besseren Zugriff zu erlangen, in eine Exklusivitätsdebatte führt, die den Bestrebungen des Bauhauses und vieler weiterer Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen 1919 konträr laufen. Dementsprechend sind sowohl in der universitären Lehre als auch im Transfer zwischen Universität und Schule und nicht zuletzt in der kreativen Weiterführung Lehrende verschiedener Disziplinen an den grundlegend ergebnisoffenen und prozessual zu verstehenden Projektteilen beteiligt.
Ziel des Projekts ist es, den Gedanken eines (direkten) Transfers von Theorie und Praxis, Kunst und Leben, Denken und Handeln im Sinne einer ästhetischen Praxis wiederzubeleben. Dies erfordert, in der Aktualisierung einen methodischen Zugriff zugrunde zu legen, um die Frage danach, wie wir von heute auf die Vergangenheit zurückschauen, zu professionalisieren und die Fragestellung nicht in Beliebigkeit zu überführen. Die Grundlage des Zugriffs stellt dabei die Zeitebene als Positionsbestimmung bereit: Von wo aus sehen wir die Vergangenheit, was verstehen wir aus dem Heute heraus, was verschließt sich uns? Der Vielfalt an Beteiligten entsprechend sind hierbei verschiedene Methoden eingeplant, die zugleich Maßnahmen im Projekt darstellen:
In seiner programmatischen Rede anlässlich der ersten Bauhaus-Ausstellung im Jahr 1923 hebt Walter Gropius besonders die ‚Vorbildung der Kinder‘ hervor, die er in den reformpädagogischen Konzepten wie „Waldorf“ und „Montessori“ verwirklicht sieht. Diese – wie er es nennt – praktischen Versuche in den Schulen seien grundlegend für die Entwicklung des ganzen Menschen.
Auf der Folie einer kontroversen Auseinandersetzung mit den richtungsweisenden Bildungskonzepten/-ideen der Moderne wollen wir den Blick auf den heutigen Schulalltag richten. So entwickeln wir gemeinsam mit Studierenden und Lehrern unterschiedliche Unterrichtseinheiten, die allesamt darauf zielen, die Schülerinnen und Schüler aktiv in die Diskussion, welche Lernformen bzw. welches Lernklima sie sich heute wünschen, miteinzubeziehen. Dabei werden sie von den Studierenden zunächst mit den reformpädagogischen Ideen des Bauhauses selbst sowie – an exemplarischen Beispielen – den Reformbewegungen in NRW in spielerischer Weise vertraut gemacht. Ein zentrales Ziel ist es hier, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Schule mit andern, neuen Augen sehen und über ihre Erwartungen und auch Frustrationen sprechen. Diese durch die historische Ebene angestoßene Auseinandersetzung soll zudem in einen künstlerischen Prozess münden. Die Begegnung mit dem Jahr 1919 dient dazu, über den aktuellen Tellerrand hinauszuschauen und die Frage nach zeitgemäßen Lernformen und einem neuen Verständnis von Schule aus Schülersicht zu beantworten.
Als Vermittler in den Schulen eignen sich die Studierenden deshalb sehr gut, weil sie zeitlich noch sehr nah am heutigen Schulalltag dran sind und ihre eigenen positiven wie negativen Erfahrungen direkt einbringen können. Die Studierenden werden auf ihre Arbeit in den Schulen in Form eines sechstägigen Projektseminars vorbereitet. Im ersten Teil wird der genaue Zugang zum Jubiläumsjahr 1919 auf verschiedenen Ebenen erarbeitet, wobei es erklärtes Ziel ist, möglichst unterschiedliche Facetten und Positionen hierzu in den Blick zu nehmen und in eine kontroverse und ergebnisoffene Diskussion münden zu lassen. Im zweiten Teil des Seminars werden dann unterschiedliche experimentelle Vermittlungsformen für die Arbeit in den Schulen entwickelt und auch mit den Lehrerinnen und Lehrern abgestimmt. Hier arbeiten wir mit der Theaterpädagogin Katharina Göhrke zusammen, die in den letzten Jahren für das zahlreiche Jugendstücke erfolgreich realisiert hat.
Ziel der Intervention in den Schulen ist es, eine Werkstattatmosphäre zu erzeugen und den Schulraum auf diese Weise in einen Ort zum Experimentieren und Spielen zu verwandeln. Gefördert werden soll die Lust am Spiel im Sinne einer ästhetischen Praxis, die im Ausloten der Grenze zwischen früher und heute, Schule, Alltag und Laboratorium sowie dem Transfer unterschiedlicher kreativer Ausdrucksweisen den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit bietet, ihre eigene Stimme in einem erweiterten öffentlichen Raum hörbar werden zu lassen.
Dieser Anspruch ist in einem kritischen Demokratieverständnis begründet, wonach emanzipativer Kampf immer neu begonnen werden muss. So geht Rancière davon aus, dass der ‚Dissens‘ im Sinne des ‚Streithandels‘ eine zentrale Funktion einer jeden Demokratie ist, und verknüpft dies mit der Forderung, dass der Teil der Anteillosen – das Volk, das nicht gewählt werden kann – sich das Wort nehmen muss. Die Jugendlichen – insbesondere jene aus sogenannten bildungsarmen Regionen und Stadtteilen – gehören zu diesen Anteillosen. (Das europaweit wahrzunehmende Wiedererstarken rechter Positionen kann vor diesem Hintergrund sicher auch als Folge des fehlenden Streithandels gedeutet werden, was einer fatalen Entwicklung für unsere Demokratie gleichkommt.).
Die Verknüpfung von politischen Ereignissen und künstlerischen Prozessen für die Begegnung von 1919/2019 zeigt sich hier ganz zentral. So stellt das Jahr 1919 als Gründungsjahr der Weimarer Republik auch für die Demokratie in Deutschland ein denkwürdiges Datum dar. Wir wollen dies zum Anlass nehmen, die Frage nach zeitgemäßen Bildungskonzepten insbesondere auch vor diesem Horizont zu diskutieren.
Die Wechselwirkungen des hierdurch angestoßenen Nachdenkens über ein zeitgemäßes Verständnis von ‚Bildung‘ sind vielfältig und wirken unmittelbar auf den universitären Alltag zurück. Wie die in immer kürzeren Abständen verabschiedeten Studienordnungen zeigen, ist die Frage, wie und was heute in den unterschiedlichen Fachdisziplinen gelehrt und gelernt werden soll, keinesfalls leicht zu beantworten. Das Projekt bietet hier die Chance auch die Studierenden selbst in diese für das Selbstverständnis heutiger Universitäten so zentrale Frage aktiv einzubinden.
Die von den Studierenden im Seminar erarbeiteten Konzepte für die Intervention in der Schule fungieren weder als Kunstvermittlung noch als Kunstunterricht, sondern als ästhetische Praxis, die Grenzen auslotet und neue Denk- und Handlungsräume generiert. Dieser Arbeitsprozess soll dokumentiert und im nächsten Schritt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Wichtig ist es uns bei der konzeptionellen Arbeit in den Schulen, die Begegnung mit dem Jahr 1919, dem Bauhaus und anderen künstlerischen Bewegungen in NRW nicht aus dem Blick zu verlieren. Wenn die Schülerinnen und Schüler sowie die Studierenden also beispielsweise im Verlauf selbst Manifeste schreiben, dann auf der Grundlage der ganz konkreten Auseinandersetzung mit ausgewählten Auszügen rund um die Avantgarde. In der Verarbeitung, Weiterentwicklung und Präsentation erscheint uns ganz besonders die durchgehende Verflechtung und wechselseitige Spiegelung der Jahre 1919 und 2019 interessant und erstrebenswert zu sein. Eher traditionelle und neue Kunst- und Ausdrucksformen werden gemischt mit dem Ziel, die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen in die Schulen zu holen. Um dies an einem Beispiel für die Umsetzung in den Schulen zu erläutern: Die Manifeste der Jugendlichen und Studierenden könnten z.B. als Collage aus den ‚alten‘ und ‚neuen‘ Stimmen gerappt werden.
Der Prozess der Arbeit in den Schulen soll der Öffentlichkeit in Form beispielsweise einer öffentlichen Lesung von Schülermanifesten, Radiobeiträgen der SchülerInnen, eines eigenen Theaterstücks, der Erstellung eines Blogs sowie von Architekturentwürfen und vielem anderen mehr zugänglich gemacht werden. Ziel ist es, die in der öffentlichen Wahrnehmung häufig festgefahrene Diskussion um Bildung zu bereichern und zu beleben. Geplant ist die Zusammenarbeit mit Schülerinnen und Schülern im Alter von 12 bis 18 Jahren an zehn Schulen in NRW im Frühjahr des Jahres 2019.
Teil des Projektes sind Transfers in den öffentlichen Raum in Form von workshops, Agoren, Camps, Lesungen und Interventionen. Die in den Lern-Lehr-Veranstaltungen erarbeiteten Inhalte gilt es, in einem erweiterten Raum zu erproben, weiterzutragen und weiterzuentwickeln. Hierzu entsteht ein vielfältiges Aktionsprogramm mit Anbindung an verschiedene Institutionen in der Region und darüber hinaus.
2019 feiert das Großprojekt bauhaus100 mit einem von elf Bundesländern unterzeichneten Staatsvertrag das Bauhaus als das sowohl deutsche als auch europäische Exportprodukt schlechthin.[1] Noch heute stehen die Bildungsidee und das Schulkonzept des Bauhaus für Innovation und Aktualität. Nordrhein-Westfalen, Mitunterzeichner des Staatsvertrags zum Bauhaus-Jubiläum, legt den inhaltlichen Schwerpunkt auf das Zusammenspiel von „Gestaltung und Demokratie“ sowie auf die Lesarten von „Neubeginn“ und „Weichenstellung“ nach dem Krieg.
Hier knüpfen wir mit unserem Projekt an und befragen lehrend, lernend und forschend die Möglichkeiten, die in der Begegnung des Bildungsbegriffs der Avantgarde 1919 und heute, hundert Jahre später, liegen. Das Bauhaus fungiert hierbei als Referenzebene, die bei der Auseinandersetzung mit parallelen Ereignissen 1919 im Rheinland und in Westfalen nach Vergleichbarkeiten, aber auch nach Unterschieden befragt werden kann und so die Spezifika einer Region in Bezug auf die Moderne verdeutlicht.
Ein Schlüsselgedanke der Begegnung 1919/2019 ist es, das politische Erbe der Avantgarde sowohl in Erinnerung zu rufen als auch als Anregung zu verstehen, unsere durch Neoliberalismus und zunehmenden Populismus geprägte Gesellschaft kritisch zu hinterfragen, auch hinsichtlich unseres gegenwärtigen Demokratieverständnisses. So setzten die Propheten der Lebensreform auf die Kraft evolutionärer Veränderung. Die Ästhetisierung der Alltagswelt sollte primär auch zur Verbesserung der herrschenden Verhältnisse beitragen. Gropius formuliert im Gründungsmanifest des Bauhaus zugleich die Idee des Gesamtkunstwerks sowie die Idee des kollektiven Handelns für eine ‚neue Gesellschaft‘. An diese Idee knüpfen wir mit einem vom Bildungsbegriff ausgehenden Projekt mit einer Vielzahl an institutionellen und individuellen Partner*innen an mit dem Ziel, sowohl interdizisplinär als auch transdisziplinär gestalterische Prozesse und Proberäume im Bauhausjahr bereitzustellen und zu öffnen.
Die für die Avantgarden so zentrale Vorstellung, dass die Künste die Kraft und den Auftrag zu gesellschaftlicher Veränderung haben, wollen wir auf ihre mögliche Gegenwartstauglichkeit befragen. Die an eben dieses Erbe der Moderne anknüpfende Vorstellung des französischen Philosophen Jacques Rancière, dass die Kunst eine Praxis und Metapolitik darstellt, die in der Lage ist, gesellschaftliche Veränderungen nicht nur zu formalisieren, wie es in Politik und Rechtsprechung geschieht, sondern diese auch zu realisieren und zu aktualisieren, bildet dabei einen Leitgedanken des gesamten Projekts. Die Begegnung mit den Bewegungen um 1919 und unserer Gegenwart mündet unweigerlich in die interessante Frage „Woraus wird Morgen gemacht sein?“[2] (Victor Hugo: „De quoi demain sera-t-il-fait?“). Dabei verweist das Titelzitat von Victor Hugo auf die ‚Machbarkeit‘ von Zukunft: Das Morgen hat eine Textur, die es zu gestalten gilt! Vor diesem Hintergrund wollen wir die damals wie heute zukunftskritische Frage nach Bildung in ergebnisoffenen und prozesshaft operierenden Formaten diskutieren. Am Ausgangspunkt dieser Diskussion steht die durch die Beschäftigung mit der Moderne geprägte Einsicht, dass Bildung kein statisch und fest umrissener Bereich ist, sondern aus Prozessen des Bildens und (Mit-)Gestaltens überhaupt erst hervorgeht. Dass an der Schnittstelle von Wissenschaft, Kunst, Alltag und Öffentlichkeit angesiedelte Projektvorhaben setzt hier zudem auf den produktiven Transfer von Theorie und Praxis. Rancières Auffassung, dass das Denken von Anfang an ästhetische Umgestaltung von Erfahrung, und Theorie und Praxis sich also unmittelbar bedingen, ist hier leitend.
Die Fragestellung verstehen wir dabei als ein Thema mit gesamtgesellschaftlicher Relevanz und schlagen in unserem NRW-weiten Modellprojekt einen transdisziplinären Transfer von Themen und Fragen zwischen Lehrenden, Lernenden und der Öffentlichkeit vor.
Das vorliegende Projekt ist in die Gesamtstruktur des übergreifenden Projektes „bauhaus100“ sowie in die Struktur des Projektteiles aus NRW eingebunden und wird z.B. auf dem Eröffnungskongress im September 2018 präsentiert, als (bisher einziger) Beitrag aus der universitären Lehre sind wir ebenfalls Teil des Bildungskonvents Ende 2019.
[1] https://www.bauhaus100.de/de/index.html
[2] Das Zitat ist Victor Hugos Gedicht „Napoleon II“ entnommen: „De quoi demain sera-t-il-fait?“. Auch Jacques Derrida und Elisabeth Roudinesco verweisen auf dieses Zitat in ihrem 2001 publizierten „Dialog: De quoi demain sera-t-il-fait?“.
Die 1919 breit angelegte aktive und kreative Gestaltung der Umwelt möchten wir zum Anlass nehmen, um unsere eigene Gegenwart aus dieser Perspektive heraus kritisch zu betrachten. Ausgehend von der damals wie heute hochaktuellen Debatte um zeitgemäße Konzepte von Lernprozessen legen wir einen besonderen Fokus auf das Thema Bildung.
Wir betrachten Bildung als eines der Schlüsselthemen unserer Zeit: Wie können, wie wollen wir künftig miteinander lernen? Wo ist drängender Handlungsbedarf? An der Frage, wie es gelingen wird, Bildung für alle attraktiv zu gestalten und zugänglich zu machen, entscheidet sich die Zukunft unserer Gesellschaft. Wir meinen, dass der Universität als Stätte des Wissens und des Lernens in diesem Punkt eine besondere Verantwortung zukommt, dass die Antwort aber nicht in einer institutionellen Vereinzelung zu finden ist, sondern in der Intensivierung des Austauschs zwischen den Lehrenden und Lernenden. Mit der Digitalisierung, die uns als Netzwerk und parallele virtuelle Welt mit einer veränderten Gegenwart konfrontiert, sind wir als BürgerInnen in der Demokratie aufgefordert, den bereits 1919 erfolgten Aufruf zu einer Kooperation der Fächer und Institutionen sowohl im Lehren als auch im Lernen erneut aufzugreifen und auf seine gegenwärtigen Möglichkeiten hin zu überprüfen.
Besonderes Interesse gilt dem in der Etymologie bereits angelegten performativen Moment von Bildung: dem Bilden und Gestalten als Anschluss an reformpädagogische Konzepte. Seit jeher eignet dem überaus dehnbaren Begriff von Bildung eine Dialektik von Formen und Geformtwerden an.
Als Namensgeber fungiert die Bauhütte für das Bauhaus und legt fest, dass es in dem Projekt um eine fächerübergreifende Kooperation hin zum gemeinsamen Produkt geht. Die Kooperation der Disziplinen stellt dementsprechend die Grundlage für unser Projekt dar. Dabei wird als interdisziplinär nicht nur eine operative Herangehensweise aus verschiedenen Fachperspektiven verstanden, sondern vielmehr ein Kulturbegriff, der in sich grundlegend auf die Befragung der vielfältigen Wechselwirkungen angelegt ist. Hierbei geht es nicht um perspektivische Offenheit auf Kosten begrifflicher Schärfe, sondern um die Auseinandersetzung mit einem hundert Jahre umfassenden Zeitraum, der sich durch seine nach wie vor zunehmende Komplexität auszeichnet und in dem der Impuls, über Spezialisierung in Einzelperspektiven einen besseren Zugriff zu erlangen, in eine Exklusivitätsdebatte führt, die den Bestrebungen des Bauhauses und vieler weiterer Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen 1919 konträr laufen. Dementsprechend sind sowohl in der universitären Lehre als auch im Transfer zwischen Universität und Schule und nicht zuletzt in der kreativen Weiterführung Lehrende verschiedener Disziplinen an den grundlegend ergebnisoffenen und prozessual zu verstehenden Projektteilen beteiligt.
Ziel des Projekts ist es, den Gedanken eines (direkten) Transfers von Theorie und Praxis, Kunst und Leben, Denken und Handeln im Sinne einer ästhetischen Praxis wiederzubeleben. Dies erfordert, in der Aktualisierung einen methodischen Zugriff zugrunde zu legen, um die Frage danach, wie wir von heute auf die Vergangenheit zurückschauen, zu professionalisieren und die Fragestellung nicht in Beliebigkeit zu überführen. Die Grundlage des Zugriffs stellt dabei die Zeitebene als Positionsbestimmung bereit: Von wo aus sehen wir die Vergangenheit, was verstehen wir aus dem Heute heraus, was verschließt sich uns? Der Vielfalt an Beteiligten entsprechend sind hierbei verschiedene Methoden eingeplant, die zugleich Maßnahmen im Projekt darstellen:
In seiner programmatischen Rede anlässlich der ersten Bauhaus-Ausstellung im Jahr 1923 hebt Walter Gropius besonders die ‚Vorbildung der Kinder‘ hervor, die er in den reformpädagogischen Konzepten wie „Waldorf“ und „Montessori“ verwirklicht sieht. Diese – wie er es nennt – praktischen Versuche in den Schulen seien grundlegend für die Entwicklung des ganzen Menschen.
Auf der Folie einer kontroversen Auseinandersetzung mit den richtungsweisenden Bildungskonzepten/-ideen der Moderne wollen wir den Blick auf den heutigen Schulalltag richten. So entwickeln wir gemeinsam mit Studierenden und Lehrern unterschiedliche Unterrichtseinheiten, die allesamt darauf zielen, die Schülerinnen und Schüler aktiv in die Diskussion, welche Lernformen bzw. welches Lernklima sie sich heute wünschen, miteinzubeziehen. Dabei werden sie von den Studierenden zunächst mit den reformpädagogischen Ideen des Bauhauses selbst sowie – an exemplarischen Beispielen – den Reformbewegungen in NRW in spielerischer Weise vertraut gemacht. Ein zentrales Ziel ist es hier, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Schule mit andern, neuen Augen sehen und über ihre Erwartungen und auch Frustrationen sprechen. Diese durch die historische Ebene angestoßene Auseinandersetzung soll zudem in einen künstlerischen Prozess münden. Die Begegnung mit dem Jahr 1919 dient dazu, über den aktuellen Tellerrand hinauszuschauen und die Frage nach zeitgemäßen Lernformen und einem neuen Verständnis von Schule aus Schülersicht zu beantworten.
Als Vermittler in den Schulen eignen sich die Studierenden deshalb sehr gut, weil sie zeitlich noch sehr nah am heutigen Schulalltag dran sind und ihre eigenen positiven wie negativen Erfahrungen direkt einbringen können. Die Studierenden werden auf ihre Arbeit in den Schulen in Form eines sechstägigen Projektseminars vorbereitet. Im ersten Teil wird der genaue Zugang zum Jubiläumsjahr 1919 auf verschiedenen Ebenen erarbeitet, wobei es erklärtes Ziel ist, möglichst unterschiedliche Facetten und Positionen hierzu in den Blick zu nehmen und in eine kontroverse und ergebnisoffene Diskussion münden zu lassen. Im zweiten Teil des Seminars werden dann unterschiedliche experimentelle Vermittlungsformen für die Arbeit in den Schulen entwickelt und auch mit den Lehrerinnen und Lehrern abgestimmt. Hier arbeiten wir mit der Theaterpädagogin Katharina Göhrke zusammen, die in den letzten Jahren für das zahlreiche Jugendstücke erfolgreich realisiert hat.
Ziel der Intervention in den Schulen ist es, eine Werkstattatmosphäre zu erzeugen und den Schulraum auf diese Weise in einen Ort zum Experimentieren und Spielen zu verwandeln. Gefördert werden soll die Lust am Spiel im Sinne einer ästhetischen Praxis, die im Ausloten der Grenze zwischen früher und heute, Schule, Alltag und Laboratorium sowie dem Transfer unterschiedlicher kreativer Ausdrucksweisen den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit bietet, ihre eigene Stimme in einem erweiterten öffentlichen Raum hörbar werden zu lassen.
Dieser Anspruch ist in einem kritischen Demokratieverständnis begründet, wonach emanzipativer Kampf immer neu begonnen werden muss. So geht Rancière davon aus, dass der ‚Dissens‘ im Sinne des ‚Streithandels‘ eine zentrale Funktion einer jeden Demokratie ist, und verknüpft dies mit der Forderung, dass der Teil der Anteillosen – das Volk, das nicht gewählt werden kann – sich das Wort nehmen muss. Die Jugendlichen – insbesondere jene aus sogenannten bildungsarmen Regionen und Stadtteilen – gehören zu diesen Anteillosen. (Das europaweit wahrzunehmende Wiedererstarken rechter Positionen kann vor diesem Hintergrund sicher auch als Folge des fehlenden Streithandels gedeutet werden, was einer fatalen Entwicklung für unsere Demokratie gleichkommt.).
Die Verknüpfung von politischen Ereignissen und künstlerischen Prozessen für die Begegnung von 1919/2019 zeigt sich hier ganz zentral. So stellt das Jahr 1919 als Gründungsjahr der Weimarer Republik auch für die Demokratie in Deutschland ein denkwürdiges Datum dar. Wir wollen dies zum Anlass nehmen, die Frage nach zeitgemäßen Bildungskonzepten insbesondere auch vor diesem Horizont zu diskutieren.
Die Wechselwirkungen des hierdurch angestoßenen Nachdenkens über ein zeitgemäßes Verständnis von ‚Bildung‘ sind vielfältig und wirken unmittelbar auf den universitären Alltag zurück. Wie die in immer kürzeren Abständen verabschiedeten Studienordnungen zeigen, ist die Frage, wie und was heute in den unterschiedlichen Fachdisziplinen gelehrt und gelernt werden soll, keinesfalls leicht zu beantworten. Das Projekt bietet hier die Chance auch die Studierenden selbst in diese für das Selbstverständnis heutiger Universitäten so zentrale Frage aktiv einzubinden.
Die von den Studierenden im Seminar erarbeiteten Konzepte für die Intervention in der Schule fungieren weder als Kunstvermittlung noch als Kunstunterricht, sondern als ästhetische Praxis, die Grenzen auslotet und neue Denk- und Handlungsräume generiert. Dieser Arbeitsprozess soll dokumentiert und im nächsten Schritt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Wichtig ist es uns bei der konzeptionellen Arbeit in den Schulen, die Begegnung mit dem Jahr 1919, dem Bauhaus und anderen künstlerischen Bewegungen in NRW nicht aus dem Blick zu verlieren. Wenn die Schülerinnen und Schüler sowie die Studierenden also beispielsweise im Verlauf selbst Manifeste schreiben, dann auf der Grundlage der ganz konkreten Auseinandersetzung mit ausgewählten Auszügen rund um die Avantgarde. In der Verarbeitung, Weiterentwicklung und Präsentation erscheint uns ganz besonders die durchgehende Verflechtung und wechselseitige Spiegelung der Jahre 1919 und 2019 interessant und erstrebenswert zu sein. Eher traditionelle und neue Kunst- und Ausdrucksformen werden gemischt mit dem Ziel, die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen in die Schulen zu holen. Um dies an einem Beispiel für die Umsetzung in den Schulen zu erläutern: Die Manifeste der Jugendlichen und Studierenden könnten z.B. als Collage aus den ‚alten‘ und ‚neuen‘ Stimmen gerappt werden.
Der Prozess der Arbeit in den Schulen soll der Öffentlichkeit in Form beispielsweise einer öffentlichen Lesung von Schülermanifesten, Radiobeiträgen der SchülerInnen, eines eigenen Theaterstücks, der Erstellung eines Blogs sowie von Architekturentwürfen und vielem anderen mehr zugänglich gemacht werden. Ziel ist es, die in der öffentlichen Wahrnehmung häufig festgefahrene Diskussion um Bildung zu bereichern und zu beleben. Geplant ist die Zusammenarbeit mit Schülerinnen und Schülern im Alter von 12 bis 18 Jahren an zehn Schulen in NRW im Frühjahr des Jahres 2019.
Teil des Projektes sind Transfers in den öffentlichen Raum in Form von workshops, Agoren, Camps, Lesungen und Interventionen. Die in den Lern-Lehr-Veranstaltungen erarbeiteten Inhalte gilt es, in einem erweiterten Raum zu erproben, weiterzutragen und weiterzuentwickeln. Hierzu entsteht ein vielfältiges Aktionsprogramm mit Anbindung an verschiedene Institutionen in der Region und darüber hinaus.